Rede zum Wald-Ostermarsch Siegen, Ostern 2021

Was im Schatten von Corona geschieht – und wofür JETZT die Weichen gestellt werden… - das sollten Sie wissen! 


diese Rede wurde von dem Aktionsbündnis Friedensbewegung Südwestfalen (ABFS) für den diesjährigen Ostermarsch vorbereitet. Um unter den gegebenen Bedingungen der hohen Corona-Inzidenzwerte niemanden zu gefährden und solidarisch mit den Pflegekräften zu sein, haben wir uns in diesem Jahr  für eine  etwas andere Form der Kund-Gebung entschieden… : Auf Ihrem Osterspaziergang… Nehmen Sie Sich eine viertel Stunde Zeit und lesen Sie sich diese Rede durch – oder einander vor! 

 

„Der Krieg ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis menschlichen Handelns. Deshalb gilt es, diesem Handeln auf die Spur zu kommen. Auch der Frieden ist kein Naturgesetz – das haben wir erlebt. Auch der Friede wächst aus menschlichem Handeln.“ (Gustav Heinemann) 

 

Am 9.2.2021 veröffentlichten die Verteidigungsministerin, Frau Kramp-Karrenbauer und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Herr Zorn, ein gemeinsames Positionspapier mit der Überschrift: „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“. Am Anfang wird festgestellt: „Wir denken nicht in den Kategorien von Machtpolitik und Dominanz, doch andere tun es und handeln danach.“ Deutschland wolle „sich noch besser in den Dienst einer freiheitlichen Friedensordnung stellen.“ 

 

Das machte mich stutzig. Hatte ich doch vor kurzem eine Rede des Inspekteurs des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, gelesen, in der er von einem „Paradigmenwechsel“ der Bundeswehr sprach. Es gehe jetzt um die „unmittelbare Einsatzbereitschaft und Kriegstüchtigkeit.“ Dafür sollen bis 2031 drei vollausgerüstete Divisionen aufgestellt werden, die so gut ausgerüstet und organisiert seien, dass sie – wie er wörtlich meinte – „innerhalb von 7 Tagen rollen“ könnten. 

Ich frage mich: Gegen wen sollen denn die deutschen Panzer rollen?! Und mit welchem Ziel? 

Sinnigerweise hielt er diese Rede vor dem „Förderkreis Deutsches Heer“, in dem das Who ist Who der deutschen Rüstungsindustrie vertreten ist. Der Generalleutnant machte sich auch Gedanken, was dafür in unser aller Köpfe „implementiert“ werden muss, wie er es nannte: Er forderte, dass „unser Tun, Denken, aber auch unsere Strategien noch stärker nicht nur auf Abschreckung, sondern auf den erfolgreichen Kampf geprägt sein“ müssten. Dazu müsse auch das Verständnis der Bevölkerung für diesen Auftrag der Streitkräfte hergestellt werden. 

 – In der Tat: Ein Krieg ist eine gigantische logistische Unternehmung, die auf Billigung und direkte oder indirekte Mitwirkung vieler angewiesen ist. Nicht umsonst wird genau dafür ein enormer propagandistischer Aufwand betrieben. Werden wir also hellhörig. Was soll in unsere Köpfe „hineingepflanzt“ werden? 

Es solle, so der Generalleutnant, zukünftig nicht mehr, wie bisher bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, das Postulat „Schutz vor Auftrag“ gelten. Die neue Devise lautet: „Auftrag vor Schutz“.  Das bedeutet, dass der Tod von Soldat*innen vielmehr als bisher schon in Kauf genommen werden soll. 

 

Wie passt das zusammen: Der „Einsatz für eine friedliche Friedensordnung“ und die Ausrichtung auf den „erfolgreichen Kampf“? 

 

„Wer nicht schießen will, muss reden.“ (Gustav Heinemann) 

 

Und was für ein Krieg wäre das denn? Der I. und der II. Weltkrieg waren schon Urkatastrophen. Ein III. Weltkrieg würde der letzte Krieg der Menschheit sein. 

 

Das Positionspapier von Frau Kramp-Karrenbauer und Herrn Zorn spricht von „der Bereitschaft und dem Können, auch im Kampf zu bestehen.“ Die beiden nennen umfangreiche Aufgaben für die Bundeswehr – nicht nur in ferner Zukunft, sondern für die allernächste Zeit. 

Die Bundeswehr soll folgende Rollen übernehmen, über die es sich lohnt, genauer nachzudenken: 

1.             Die Rolle als „Anlehnungsnation“, das heißt, die Bundeswehr soll ein „breites militärisches Profil“ haben, an das kleinere Staaten „andocken“ können. Deutschland soll, so wird es dezidiert gesagt, eine militärische Führungsrolle in Europa übernehmen. Ja, Sie haben richtig gehört: Deutschland soll eine militärische Führungsrolle in Europa übernehmen. 

Wie ist das möglich?! Nach zwei entsetzlichen Kriegen, die von Deutschland über die ganze Welt gebracht wurden – kann von „militärischer Führungsrolle Deutschlands“ gesprochen werden?! Das Fazit 1945 war: Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus! 

2.             Die Bundeswehr soll die Rolle eines „first responder“ bekommen, der „schneller als alle anderen bei Krisenfällen insbesondere an den Außengrenzen von NATO und EU zur Stelle sein muss.“ Dabei werden insbesondere das Baltikum, der Balkan, das Mittelmeer und Nord- und Ostsee genannt. In diesem riesigen Sektor Europas soll die Bundeswehr also an der Spitze der NATO-Truppen stehen. 

3. Eine weitere  Rolle ist die als „Drehscheibe im Bündnis“, womit Infrastruktur und Logistik gemeint ist, „damit Operationen im gesamten Bündnisgebiet reibungslos durchgeführt werden können.“ Wir wissen, dass schon jetzt von Ramstein aus Operationen in der halben Welt koordiniert und geleitet werden. Deutschland unterstützt dieses US-Kriegszentrum nach Kräften. 

3.            Die Bundeswehr soll die „Rolle als Truppensteller im internationalen Krisenmanagement“ übernehmen, womit Auslandseinsätze in aller Welt gemeint sind. 

4.            Sie soll weltweite Kooperation mit Partnern außerhalb der NATO übernehmen. Hier werden insbesondere Israel, Japan und Australien genannt. Es geht hier besonders um „Technologie-Kooperation“, aber auch Marine-Einsätze im pazifischen Raum werden bereits geplant. 

5.             Und schließlich soll die Bundeswehr eine besondere „Rolle im Heimatschutz im Frieden wie im Krisenfall“  übernehmen. Hierzu sei eine „starke Reserve nötig“, die im „Katastrophenfall“ „Amtshilfe“ leisten soll.  – also eine Art Nationalgarde. Zitat: „Auch die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie verwundbar wir sind, und dass gesamtgesellschaftliche Resilienz auch eine militärische Facette hat.“ 

Die Corona-Pandemie hat viele Facetten medizinischer, wirtschaftlicher und politischer Art - aber sicher keine militärische! Außer vielleicht, sie wird genutzt für eine Militarisierung unserer Gesellschaft. 

Natürlich wird festgestellt, dass die Bundeswehr dieser umfangreichen Aufgabenstellung bisher nicht gerecht werden kann. Sie sei „weiterhin unterfinanziert“ und das Ziel, dass 2 % des Bundeshaushalts für militärische Zwecke eingesetzt werden,  müsse unbedingt eingehalten werden. 

 

Wir stehen vor dem größten Aufrüstungsprogramm, das die Bundeswehr je erlebt hat. Wenn alle bisher bekannt gewordenen Pläne verwirklicht werden, wird Deutschland in West- und Mittel-Europa die bei weitem stärkste Militärmacht sein – wenn man von der atomaren Bewaffnung mal absieht, wo die Bundeswehr ja „nur“ eine NATO-Teilhabe hat. 

Einen Eindruck von der Größenordnung dieser Aufrüstung bekommt man, wenn man genauer betrachtet, was eigentlich hinter dem Drohnenprogramm steckt, über das im Moment so unaufrichtig gestritten wird. Während die CDU argumentiert, die anzuschaffenden bewaffneten Drohnen seien ja nur zum Schutz der Soldaten in internationalen Einsätzen da und die SPD sich zugute hält, dass (vorläufig) die Anschaffung von waffenfähigen Drohnen zwar beschlossen worden sei, die Bewaffnung aber eben nicht (in Klammern: Man gibt vor, Panzer ohne Munition anzuschaffen), läuft im Hintergrund längst ein umfangreiches Projekt gemeinsam mit Frankreich, in dem die Drohnen eine ganz andere Bedeutung bekommen sollen. Es geht um das „Future Combat Air System“ (FCAS), das letztendlich Deutschland und Frankreich in eine führende Position in der atomaren Kriegsführung bringen soll. Worum geht es? In einem entsprechende französischen Senatsbericht wird davon ausgegangen, „dass autonome Kriegsführung zukünftig ebenso realistisch ist wie autonomes Fahren.“ „Die Waffensysteme des FCAS – dabei geht es um bemannte oder unbemannte Kampfflugzeuge, die von Drohnenschwärmen begleitet werden – müssten … in der Lage sein, sowohl die französischen(n) Atomwaffen als auch die von Deutschland implementierte(n) Nato-Atomwaffe(n) zu tragen.“ Also mit anderen Worten, es wird an einer neuen Angriffswaffe geforscht und geplant, um mit Hilfe künstlicher Intelligenz bewaffnete Drohnenschwärme samt Kampfflugzeugen zu entwickeln, die sogar Atomwaffen tragen können – eine neue Art militärischer Angriffsstrategie. Kosten: So ungefähr zwischen 300 und 500 Milliarden Euro. Und damit diese gigantischen Kosten nicht so sehr auffallen, gibt es einen interessanten Vorschlag von dem CSU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl, gut verbandelt mit Airbus Defense und Space in Ottobrunn bei München: Er schlägt vor, die Kosten im Haushalt des Wirtschafts- und Forschungsministeriums unterzubringen. 

 

Wer glaubt, dies sei futuristischer Unsinn, irrt gewaltig. Ende Januar 2021 trafen sich die wichtigsten Akteure auf Einladung des „Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) und forderten, dass dieses Rüstungsprojekt auf keinen Fall scheitern dürfe. 

Die Phase 1A ist schon angelaufen und hat bisher rund 200 Millionen Euro gekostet. 

 

 „Alles Rüsten muss einen politischen Sinn haben. Rüstung an sich kann doch nichts Gutes sein.“ 

„Der Krieg und die Politik der Gewalt sind ein Verbrechen an der Menschheit.“ (Gustav Heinemann) 

 

Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit in unserem Land so denkt, wie Gustav Heinemann. Was gerade politisch überlegt wird, ohne dass wir allzu viel davon mitbekommen, widerspricht dem zutiefst. 

 

Wir leben in wahrhaft brisanten Zeiten! 

Es geht um uns, das Leben unserer Kinder und Kindeskinder, der Tiere und Bäume auf diesem begrenzten und einmalig schönen Planeten, es geht um Gerechtigkeit weltweit. Die Corona-Pandemie und der Klimawandel zeigen, wie verletzlich wir sind. Wofür wollen wir Gelder, Ressourcen und Energie investieren?! 

Wir brauchen politische Entscheidungen und eine Wirtschaft, die auf Gemeinwohl und Frieden ausgerichtet sind und jegliche Bereicherung an Kriegen konsequent unterbindet. 

 

„Nicht der Krieg, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir uns alle zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr.“ (Gustav Heinemann) 

 

Was können wir tun? 

Wir sagen in aller Konsequenz „Nein“ zum Krieg. 

Wir sagen  „Nein“ zu allen Feindbildern, die uns suggerieren, nur die anderen dächten in den Kategorien von Machtpolitik und Dominanz und wir seien die Vertreter der Humanität! 

Wir fordern unsere parlamentarischen Vertreter*innen auf, sich konsequent gegen jegliche Form militärischer Aufrüstung einzusetzen. 

 

Ich möchte zum Schluss aus seinem Gedicht von Bertolt Brecht zitieren, das Hans Eisler so schön vertont hat: 

 

„Wenn die Ob´ren vom Frieden sprechen, 

weiß das gemeine Volk, daß es Krieg gibt, 

wenn die Ob´ren den Krieg verfluchen, 

sind die Gestellungsbefehle schon ausgeschrieben.“ 

 

Aber, so Bert Brecht in seinen Schlusszeilen: 

 

„General, dein Tank ist ein starker Wagen. 

Er bricht Wälder nieder. 

Er zermalmt hundert Menschen. 

Aber er hat einen Fehler: 

Er braucht einen Fahrer. 

 

General, dein Bomberflugzeug ist stark. 

Es fliegt schneller als der Sturm 

und trägt mehr als ein Elefant. 

Aber es hat einen Fehler: 

Es braucht einen Monteur. 

 

General, der Mensch ist sehr brauchbar, 

er kann fliegen, er kann töten. 

Aber er hat einen Fehler: 

Er kann denken.“ 

Nachruf Erhard Eppler

Wir trauern um Erhard Eppler, der am 19. Oktober in Schwäbisch-Hall im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Er kam durch Gustav Heinemann zur Politik, der als CDU-Innenminister 1958 vehement gegen Konrad Adenauers Kurs der konsequenten Integration der Bundesrepublik in das westliche Verteidigungsbündnis protestierte – mit dem Argument: „Wer Deutschland immer noch tiefer spalten will, kann es nicht besser machen als in Fortsetzung immer noch dieses Weges.“

Als Heinemann aus dieser Verzweiflung heraus eine neue Partei gründete, die „Gesamtdeutsche Volkspartei“, gehörte Erhard Eppler von Anfang an dazu. In dem mit großer Leidenschaft geführten Wahlkampf 1953 erlitt er einen schweren Motorradunfall. Nach dem enttäuschenden Ausgang der Wahl ging mit Heinemann auch Erhard Eppler zur SPD und wurde in der Großen Koalition Minister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Unter Helmut Schmidt aber kam es dann nach kurzer Zeit zum Bruch, weil die Vorstellungen einer humanen Entwicklungspolitik unvereinbar waren. 

Erhard Eppler hat nie einen Zweifel darüber gelassen, dass für ihn politische Entscheidungen unmittelbar mit dem Glauben zusammenhingen. Von Herbert Wehner wurde er deshalb als „Pietcong“ karikiert, doch das traf voll daneben: Er hat nie aus irgendeinem Hinterhalt heraus gekämpft, sondern immer mit ganz offenem Visier. Das freilich machte ihn auch sehr verletzlich; die ihn kannten, wissen das. 

Im September 1980, ein Jahr vor der ersten großen Friedensdemonstration in Bonn, hatten wir ihn in Siegen zu Gast; im Martini-Gemeindehaus diskutierte er mit uns ratlosen Basisgruppen-Leuten; und wir fragten ihn: Muss es jetzt – gegen diese wahnsinnige atomare Aufrüstung – nicht endlich auch eine ebenso massive Protestbewegung geben wie die Anti-AKW-Bewegung und die der Ostermärsche? Und er antwortete uns einfach: Ja, das wäre doch mal was ganz Neues! 
Ein Jahr danach hörten wir ihn dann gemeinsam mit den Hunderttausenden im Bonner Hofgarten: „Wir müssen die Kette des Hasses zerbrechen,“ sagte er, „und wir WERDEN sie zerbrechen!“ Da war seine Stimme nicht mehr zu überhören.

So war er für uns nicht nur der unbeirrbare Ermahner, sondern er war es, der uns in solcher Verzweiflung Mut machte, jetzt ja nicht aufzugeben. Und so wird er uns gegenwärtig bleiben. In seinem letzten Brief noch in diesem Jahr schreibt er uns, dass er unterwegs war, um in der SPD einen stabilen „Gesprächskreis Frieden“ zu gründen; „…in der Zeit, die mir noch bleibt,“ so schließt er im Blick auf seine Urenkel, „will ich noch versuchen, ihnen eine Chance zu öffnen, in einer Welt, die – was Verantwortung angeht – so weit heruntergekommen ist!“

Prof. Dr. Ingo Baldermann